Vorwort
“Zivilisationen enden durch Selbstmord, nicht durch
Mord
Arnold J. Toynbee
Als Neil Armstrong im Juli
1969 seine ersten Schritte auf den Mond setzte, war sein großer Sprung für die
Menschheit eine einzigartig amerikanische Leistung. Amerikanische Vision und
Management, amerikanische Wissenschaft und Technologie, amerikanische
Finanzoerung und Investition, amerikanische Tüchtigkeit und Sorgfalt,
amerikanischer Wille, Planung und Hingabe hatten vollbracht, was mit Fug und
Recht als die herausragendste menschliche Leistung des 20sten Jahrhunderts –
vielleicht aller Zeiten bis dahin – bezeichnet werden kann. Amerika und die
Amerikaner standen als einziges Land und als einziges Volk da, denen dies das
gelingen konnte.
Doch dieses Ereignis kam zu
einem Zeitpunkt, als die amerikanische Macht, wie die seither vergangenen Jahre
mehr und mehr gezeigt haben, abzunehmen begonnen hatte.
Im Rückblick war der
Gipfelpunkt menschlicher Leistung auch der Gipfelpunkt der amerikanischen
Macht.
Im selben Monat, als ein Vorbote des amerikanischen Niedergangs, erhöhte das
Federal Reserve Board der USA die amerikanische Zinsrate drastisch. Damit
sollte eine damals mitten im kalten Krieg und dem immens heißen Vietnamkrieg
vergleichsweise milde Inflation “bekämpft” werden. In seiner Wirkung setzte
diese einfache Maßnahme der Wirtschaftspolitik einer Ära ein Ende, die bis
dahin zu immer spektakuläreren Leistungen des amerikanischen Volkes und seiner
Regierungen geführt hatte.
Von diesem Zeitpunkt an wurde der Wettlauf im Weltraum und
vieles, was damit verbunden war, suspendiert oder zurückgefahren. Die Apollo-Missionen waren beendet.
Mehr als drei Jahrzehnte sind seither vergangen und der Vietnamkrieg und der
kalte Krieg sind Geschichte. Die Größe jedoch der
amerikanischen Vision ist verblaßt, sei es für die Reise zu den Sternen oder
für die Verwirklichung menschlicher Bestrebungen hier auf der Erde.
Im August 1971, nur zwei Jahre nach dem Spaziergang auf dem Mond und der
gleichzeitigen Zinserhöhung zerriß die Nixon-Regierung die Bindung des Dollar
an das Gold. Das „Goldfenster“ des Internationalen Währungsfonds wurde
geschlossen. Nach einem Vierteljahrhundert seines Bestehens hörte der IWF auf,
die Währungen der Welt zu überwachen, zu regulieren und zu stabilisieren. Den Währungen
wurde das freie Schweben erlaubt. Einige Währungen durften fortan frei
schwanken im Einklang mit den Handels- und Geldströmen, einige andere dagegen
weniger frei als Mitgliedern einer Währungsgruppe oder als Anhängsel einer
größeren Währung, in der Regel gekoppelt an den zwar an Wert verlierenden, aber
immer noch starken Dollar.
Einen Monat bevor Nixon das „Goldfenster“ schloß, hatte sein Nationaler
Sicherheitsberater Kissinger in Peking einen sensationellen Besuch abgestattet,
der einem weiteren von Nixon selber im Februar 1972 voranging. Zwischen diesen
beiden Besuchen debattierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein
weiteres Mal darüber, ob entweder Peking oder Taiwan den Sitz Chinas und damit,
wichtiger noch, den eines permanenten Mitglieds im Sicherheitsrat einnehmen
sollte. Dieses Mal votierte die Generalversammlung für die Volksrepublik, deren
Regierung schließlich, 22 Jahre nach der Machtübernahme, ihren ihr zustehenden
Sitz in den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat übernahm.
Es war ein heldenhafter Sieg für die Volksrepublik. Im selben Moment, während
sich die Stagflation ausbreitete und nachdem das Goldfenster geschlossen worden
war, wurde für die Volksrepublik ein noch größerer Sieg in den Arbeitsstätten
und Kontors der Wirtschafts- und Finanzwelt vorbereitet. Im Laufe der Zeit
würden sich die Zinserhöhungen durch die FED 1969, das Schließen des
Goldfensters 1971 und die damit einhergehenden wirtschaftlichen und
finanziellen Entwicklungen in einer grundlegenden Transformation der
weltwirtschaftlichen Umgebung, der Balance nicht nur der wirtschaftlichen,
sondern auch der politischen und strategischen Macht auswirken.
Nach dem erste Ölschock 1973 brachten die siebziger Jahre an ihrem Ende noch
einen zweiten und größeren Ölschock mit sich und sahen eine noch schärfere
Inflation der Verbraucherpreise, besonders – aber nicht nur – in den
Vereinigten Staaten. Die Inflation erreichte einen Spitzenwert 1980 mit 13,5%.
Darauf antwortete die FED mit einem Spitzenzinssatz von 18%. Es ist
faszinierend, daß dies gleichzeitig zusammenfiel mit Deng Xiaopings
Proklamation einer neuen und verstärkten kapitalistischen Wirtschaftspolitik
für die Volksrepublik China. Deng verkündete, China werde dem japanischen
Modell folgen. “Reich zu werden“, fügte er hinzu, “wird herrlich sein.”
Obwohl er das wunderbare Potential damals nicht kennen konnte, hatte es Deng
darauf angelegt, die volle, wenngleich unbeabsichtigte Kooperation der
Vereinigten Staaten bei der Erreichung seiner wirtschaftlichen Ziele zu
erlangen – zum “Reichwerden”. Seit den 70er Jahren bis heute ist die
amerikanische Politik stetig darauf ausgerichtet, die wirtschaftliche Stärke
Chinas und anderer Länder Asiens schnell und substantiell aufzubauen. Zur
gleichen Zeit aber hat dieselbe Politik zu einem beständigen Abfluß von
Lebenskraft aus der amerikanischen Wirtschaft geführt.
Nach 1982 sank die Inflation in den USA wieder auf normales Niveau, die
Reaganomics kamem in Mode und die Vereinigten Staaten begannen, die kränkelnde
Sowjetunion mit der Produktions- und Innovationskraft ihrer Wirtschaft und der
Stärke ihrer Militärtechnologie immer härter herauszufordern. Mit weniger
dramatischem Widerhall wurde im Hinterland von Hongkong eine industrielle
Infrastruktur aufgebaut, auf der immer mehr Fabrikgebäude hochgezogen wurden.
Eine Produktion kam auf den Weg, die zur gegebenen Zeit die Märkte in aller
Welt beliefern sollte – einschließlich und besonders die riesigen
Verbrauchermärkte in den Vereinigten Staaten.
Die Inflation in den Vereinigten Staaten blieb anhaltend gedämpft, während sich
der Ölpreis stabilisierte. Von einem Spitzenpreis von 800 USD pro Unze, auf den
das Gold 1980 hochgeschossen war, fiel der Goldpreis wieder auf 250 USD.
Dagegen verwandelten sich die irregulären Handelsüberschüsse der USA in den
sechziger Jahren über den Großteil der siebziger Jahre in Defizite. In den
achtziger Jahren stiegen die Defizite jedes Jahr weiter an und wurden
schließlich chronisch. Die Reaganomics und die Herausforderungen des Kalten
Krieges ließen auch das Haushaltsdefizit der USA anwachsen. Obwohl dies in der
Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt blieb, wurde das Problem der
Inlandsinflation durch das (billige) Angebot aus Übersee gelöst. Die Länder,
die für dieses Angebot sorgten – und China dabei in immer stärker wachsendem
Maße – hielten ihre Einkünfte als Dollarreserven und leisteten damit
entscheidende Unterstützung zum Ausgleich des amerikanischen Handels- und
Haushaltsdefizits.
Dieses Jahrzehnt der 1980er Jahre war eine Zeit des sich steigernden
wirtschaftlichen und finanziellen Ungleichgewichts, doch am Ende dieses
Jahrzehnts war die Verwirklichung des politischen und strategischen Ziels der
Vereinigten Staaten erreicht: die Sowjetunion brach zusammen und damit auch das
Sowjetreich. Die Satellitenstaaten wurden frei und die USA wurden zur einzigen,
unangefochtenen Supermacht.
Dennoch wurden wiederum einige eher positive Trends gestört durch andere
Entwicklungen, die sich im Hintergrund vollzogen. Vom Status des größten
Gläubigerstaats glitten die USA immer tiefer in den Zustand der Verschuldung.
In den späten achtziger Jahren – während sich gleichzeitig die Sowjetunion im
Todeskampf befand – überschritten die Vereinigten Staaten die Grenze vom
Terrain des Nettogläubigers zu dem eines Nettoschuldners.
Mehr als ein Jahrzehnt lang zuvor hatten Japan und die neu industrialiserten
asiatischen Tiger den amerikanischen Verbrauchermarkt beliefert. Umgekehrt
begann der Niedergang der amerikanischen Industrieproduktion. Die neuen
Indsutrien Asiens übernahmen diese Produktion und fertigten immer komplexere
Erzeugnisse mit steigender Qualität für den amerikanischen wie den Weltmarkt.
Nun begann auch die Beschleunigung der industriellen Entwicklung in China, und
mit dem Fortgang der neunziger Jahre verdichtete sie sich entlang der
pazifischen Küste zur Versorgung der auswärtigen Märkte rund um die Welt.
In den 90er Jahren flackerte in den USA für eine Reihe von Jahren so etwas wie
der innovative und unternehmerische Glanz ihrer Zeit des Wagniskapitalismus
wieder auf. Die Börsen boomten, Unternehmensgründer sammelten über Nacht
Vermögen ein, Realinvestitionen kamen wieder zum Zuge und gaben Teilen der
Wirtschaft annähernd alte Vitalität zurück: Das Haushaltsdefizit verwandelte
sich für drei Jahre, 1994-97 in einen Überschuß, sogar die Handelsbilanz
verharrte eine Zeit lang in ihrer chronischen Abwärtsbewegung.
Dann brach wieder alles zusammen.
Zu viel Luft hatte zu viele Marktblasen aufgebläht. Die zugrundeliegenden
Trends der Realinvestitionen, von Produktivität und Produktion erwiesen sich
als zu schwach. Die Börsenkurse brachen zusammen. Die
Anlageninvestitionen sackten ab. Der Finanzkapitalismus und die Verlagerung der
Inlandsinflation in Außenhandelsdefizite trieben die Vereinigten Staaten immer tiefer
in die nationale Verschuldung und zwangen die Haushalte zu immer exzessiverem
Borgen zur Aufrechterhaltung ihres Konsumstandards. Immer mehr Leute fingen an,
mit ausgefallen Finanzpapieren in einem Spiel mitzuspielen, bei dem – durch
solche Obsessionen wie freie Märkte, Privatisierung und Globalisierung – die
amerikanische und die Weltwirtschaft zum Feld für Spekulation, zu einem
weltweiten Kasino geworden war.
Von der Welt stärkstem Gläubiger wurden die Vereinigten Staaten nun immer
entschiedener zum weltgrößten Schuldner. Im Jahre 2005 belief sich die
Staatsschuld auf 8 Billionen USD – ungefähr 60% des Bruttoinlandsprodukts -,
wovon 40% von Nicht-Inländern, darunter Regierungen und Zentralbanken im
Ausland, gehalten wurden. Die Verschuldung der Haushalte betrug 2 Billionen
USD. Die Gesamtverschuldung von Staat, Unternehmen und Haushalten ergab
zusammengerechnet ungefähr 41 Billionen, nach manchen Berechnungen sogar 49
Billionen USD. Nach Angaben des US-Schatzamtes hatte Präsident Bush in den fünf
Jahren seiner Amtszeit mehr Geld geborgt als alle Präsidenten davor
zusammengenommen. Die zweiundvierzig Präsidenten vor ihm hatten Kredite mit
insgesamt 1,01 Billionen USD, die Bush-Regierung dagegen allein zwischen 2001
und 2005 mit 1,05 Billionen USD aufgenommen – ein Allzeitrekord, der aber immer
noch mit einem Anstieg, so heißt es, um 1 Billion USD alle achtzehn Monate
ständig übertroffen wird. Die einzige wenn auch zweideutige tröstliche
Überlegung hierzu besagt, daß sich diese Gesamtschulden mit der Verringerung
des Realwertes des Dollar auch stetig verringern. Umgekehrt aber führt das zu
der ernüchternden Aussicht, daß der Wert des Dollar immer mehr in Auszehrung
verfällt, wahrscheinlich sogar besonders beschleunigt im Verhältnis zu den
Warenwerten von Gold, Öl und und anderen Rohstoffen.
Mit einer Verschuldung, deren Größenordnung sich nur wenige von uns vorstellen
können, mit ausufernden Handelsbilanzdefiziten, mit einem verfallenden
Inudstriesektor und einer rücksichtslosen Verringerung des Umfangs der
qualifizierten Arbeiterschaft, mit einer Firmenpraxis, der die traditionelle
Orientierung an Realinvestitionen, Produktivität und Produktion zugunsten von
„Eigentümerschaft“ und spekulativen Unternehmungen abhandengekommen ist,
scheinen die Vereinigten Staaten schleunigst auf dem Weg zum Ruin voranzugehen.
Die unausprechlichste(?) aller Wirtschaftskrisen – mit einer Vielzahl von
Themen, Gesichtspunkten und komplexen Auswirkungen – scheint in nur geringer
Entfernung auf diesem Weg, auf dem wir uns jetzt befinden, zu drohen. Wenn sie
uns ereilt, wird ein Chaos und Elend die amerikanische Wirtschaft und das
amerikanische Volk treffen, wogegen die Große Depression der 30er Jahre nur
eine blasse Vorahnung wäre - und sie wird ein Jahrzehnt oder noch länger andauern.
Aber diese Bedrohung geht
weit tiefer als nur diese Aussicht. Die Vereinigten Staaten sind nicht nur als
einer in der Horde Teil dieser Malaise, die jedem in der Welt zusetzt. Einige
andere, besonders angelsächsische Länder, haben ähnliche Probleme. Aber während
diese und die Vereinigten Staaten gestrauchelt sind, haben einige andere Länder
unvorhergesehene Fortschritte bei der Entwicklung ihrer Wirtschaften erzielt
und damit ihren Einfluß und ihre Macht in jedwedem Bereich vergrößert –
ökonomisch, kulturell, politisch und, ganz besonders beunruhigend, strategisch.
Die Vereinigten Staaten haben sowohl ihren eigenen Niedergang als auch den
Aufstieg jener Länder organisiert, die als ihre tatsächlichen oder möglichen
Rivalen angesehen werden können.
Darunter befindet sich
China, das in den letzten beiden Jahrzehnten in der Rangfolge der
hocherfolgreichen Wirtschaften sich soweit emporgearbeitet hat, daß es nunmehr
zu den fünf größten Volkswirtschaften zählt. Nur die USA, Japan, Deutschland
und vielleicht Britannien rangieren noch vor dem erwachenden Riesen. Wenn man
die großen Unterschiede der Wachstumsraten in Rechnung stellt, wird China sehr
bald den dritten Rang einnehmen und nicht wenige Jahre danach auch Japan
überholen, das Land, das sich Deng 1979 als Vorbild ausgesucht hatte. Nur noch
die Vereinigten Staaten werden den Platz davor innehaben, unterstellt daß die
amerikanische Wirtschaft nicht mit ihren verschiedenen Blasen in einer Krise
vorher zusammenbricht. Wenn die gegenwärtigen auseinanderklaffenden
Wachstumsraten bestehenbleiben, wird China die Lücke zum Bruttoinlandsprodukt
der Vereinigten Staaten sehr rasch schließen können und dann, obwohl sich dafür
weder Jahr noch Tag angeben lassen, an erster Stelle der Wirtschaften in der
Welt stehen und weiter wachsen.
Macht wächst denjenigen zu,
die es verstehen im Strom der Zeit am besten Kurs zu halten. Diese
Geschicklichkeit ist eng mit wirtschaftlicher Kompetenz verbunden: der
Fähigkeit zum Management und Wachstum in der realen Wirtschaft auf der Grundlage
von Realinvestitionen, steigender Produktivität und wachsender Produktion.
Wirtschaftliche Macht stärkt auch die anderen Faktoren der Macht, insbesondere
politische und strategische Macht. Üblicherweise zieht eine Veränderung
wirtschaftlicher Macht und des Status, den solche Macht verleiht, Konflikte
nach sich. Die Ursachen, die Konflikte auslösen können, sind verschieden, doch
können sie solche entscheidenden Belange wie Zugang zu Öl und anderen
lebenswichtigen Ressourcen beinhalten.
Auf diesen Grundlagen könnten wir eine Welt des Aufruhrs erleben, wenn den
Vereinigten Staaten der Mantel der einzigen Supermacht in der Welt von den
Schultern fällt und vielleicht von China oder einer Gruppe von miteinander
zusammenarbeitenden Ländern aufgenommen wird. Die Bush-Administration hat sich
jüngst in Gesprächen mit zwei seiner wichtigsten Verbündeten, Japan und
Australien, über die „Eindämmung Chinas“ vernehmen lassen. Im selben Zuge hat
sie mit Indien als einem möglichen Gegengewicht zu China die Köpfe zusammengesteckt.
Australien hegt gegenüber einer solchen „Eindämmung“ seine Zweifel, während
Japan sich dafür aufgeschlossen zeigt. Doch könnten jegliche Vorstellungen
einer Eindämmung bereits ihr Verfalldatum überschritten haben. Um wirksam sein
zu können, hätte man ihnen in der Politik der letzten zwanzig oder dreißig
Jahre Einfluß zukommen lassen müssen, nachdem Nixon und Kissinger China ihre
Besuche abgestattet hatten. Damit „Eindämmung“ heute überhaupt eine Bedeutung
bekommen könnte, müßte genau jene Politik rückgängig gemacht werden, die China
erst zu einem Kandidaten für „Eindämmung“ werden ließen. Allerdings scheint
eben jene Politik ihre Aufgabe schon so sehr erfüllt zu haben, als daß sie
heute oder, geschweige denn in den vor uns liegenden 10, 15 Jahren, noch
umkehrbar wäre und die relativen Machtpositionen von China und den Vereinigten
Staaten zueinander noch wesentlich beeinträchtigen könnte.
Die Stellung Indiens
erscheint nicht so fest umrissen. Bei diesem Spätkömmling scheint noch eine
geringe Chance zu bestehen, daß Indien in irgendeiner Weise “eingedämmt” werden
kann – welche Bedeutung auch immer diesem Begriff von denen gegeben werden mag,
die diese Politik unterstützen. Aber Präsident Bush und seine umherschweifende
Außenministerin scheinen die Gründe für Umfang und Geschwindigkeit des
Wachstums in China und Indien noch nicht verstanden zu haben, auch nicht, daß
es für beide Länder die gleichen Gründe sind. Indien „einzudämmen“ würde die
Rücknahme derselben politischen Ausrichtung erfordern, die Chinas Geschicken zu
so wunderbarer Verwandlung geholfen haben. In Washington scheint die Politik
eine solche Stufe der Überlegungen noch nicht erreicht zu haben, aber im Lichte
der Politik der „Eindämmung Chinas“ könnten wir mit Verstand die Frage aufwerfen:
wie lange wird es dauern, bis die Vereinigten Staaten auch Indien und
vielleicht andere als Kandidaten für „Eindämmung“ sehen? Wenn es soweit käme,
wäre die gegenwärtige Politik der Umgarnung Indiens dann ausreichend? Denn wenn
nämlich Indien, statt Kandidat für „Eindämmung“ zu sein als „Gegengewicht“ zu
China angesehen wird, dann müßte eine strategische Kehrtwendung der Politik,
die China mächtig werden ließ, zugunsten eines raschen und grundlegenden
Wachstums Indiens in einer widersprüchlichen Zweiteilung wiederum aufgegeben
werden. Diese Komplexität der entstehenden Machtlage zu bewältigen muß für die
derzeitige Bush-Regierung unlösbar schwierig erscheinen. Sie wäre auch für jede
ihr nachfolgende Regierung eine einzigartige Herausforderung.
Die Herausforderung und
Infragestellung als Supermacht ist sicher nur eine von vielen Schwierigkeiten,
denen sich die Vereingten Staaten und ander Länder gegenübersehen. Die Politik
der Vereingten Staaten – zu oft das Vorbild für andere – hat nahezu alle Probleme
verschärft, welche die Menschheit heraufgeführt hat oder welche ihr
aufgezwungen worden sind: die Umwelt, Armut, Bevölkerungswachstum, Rassen- und
Religionskonflikte, Fragen der Rohstoffversorgung und die „Grenzen des
Wachstums“, die Unausweichlichkeiten der fehlgeschlagenen Staaten, die
Verbreitung von Krankheiten, die Plünderung der Ressourcen des Planeten durch
immer unersättlichere Raffgier und so weiter. Diese Fragen sind nicht nur
ungelöst; sie werden in der Tat, wenn auch nicht in leeren Reden, umfassend
ignoriert und vernachlässigt. Jegliche Vision ist verlorengegangen. Aufklärung
ist der Verfinsterung anheimgefallen. Übrig zu bleiben scheint – für die
Vereinigten Staaten und in der Tat für uns alle - nur noch mehr Selbstzerstörung.
„Amerikas selbstmörderisches
Staatsführungsvermögen (Statecraft)“ ist die Geschichte dieser Entwicklungen.
Es wird ein Bild von dem was voraufging gezeichnet, insbesondere der Jahre seit
1969; und es werden Wege vorgeschlagen, wie wir aus unserem gegenwärtigen
Dilemma herausfinden könnten. Der Herausforderung, die sich vor uns auftürmt,
wird nur schwer zu genügen sein. Eine „weiche Landung“ wird für die Welt sowohl
politisch als auch strategisch ebenso schwer zu gewährleisten sein wie eine
„weiche Landung“ für die amerikanische Wirtschaft und Weltwirtschaft. Freilich
sind die Einsätze für die Zukunft der Menschheit und für die Fortdauer des
Lebens auf dem Planeten wie für einzelne Länder die höchsten. Sie sind so hoch,
daß wir die Herausforderung als einen absoluten Imperativ mit all der Energie
und und aufgeklärten Voraussicht annehmen müssen, die wir aufbringen können.